Es klingt wie ein Traum aus dem Mittelalter: Blei in Gold verwandeln. Was einst das Ziel mystischer Alchemisten war, könnte nun mithilfe modernster Technologie realisiert werden – und zwar durch nichts Geringeres als Kernfusion. Das US-amerikanische Start-up Marathon Fusion hat ein Konzept vorgestellt, das die Energiegewinnung durch Fusion revolutionieren – und gleichzeitig Gold erzeugen soll. Aber ist das wirklich möglich? Und was steckt genau dahinter?
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Die Idee hinter der modernen Alchemie
Marathon Fusion beschäftigt sich mit der Optimierung des Plasmaflusses in Fusionsreaktoren. In einem selbst veröffentlichten, noch nicht wissenschaftlich überprüften Fachartikel stellt das Unternehmen eine faszinierende Möglichkeit vor: Während der Fusionsprozesse soll Gold aus Blei-Isotopen entstehen – konkret aus dem Isotop Blei-198.
Dieses wird in die Ummantelung des Reaktors eingebracht und dort gezielt mit Neutronen aus der Deuterium-Tritium-Fusion beschossen. Dabei entsteht das Isotop Blei-197, das wiederum durch Elektroneneinfang zu Gold-197 wird – der stabilen und in der Natur vorkommenden Form des Edelmetalls.
So funktioniert die Transmutation von Blei zu Gold
Das Konzept stützt sich auf mehrere aufeinanderfolgende Prozesse der Kernumwandlung, darunter der sogenannte Elektroneneinfang, bei dem ein Proton ein Elektron „einfängt“ und sich in ein Neutron umwandelt. Genau dieser Prozess erlaubt es laut Marathon Fusion, aus dem Blei-Isotop das begehrte Gold herzustellen.
Interessanterweise basiert die Ausgangssubstanz – Blei-198 – auf dem stabilen und häufig verfügbaren Quecksilber-198, das zunächst umgewandelt werden muss. Das macht das Verfahren theoretisch nicht nur durchführbar, sondern auch wirtschaftlich attraktiv.
Wirtschaftlicher Nutzen: Gold als Nebenprodukt der Kernfusion
Noch spannender wird das Ganze, wenn man die Zahlen betrachtet. Das Start-up geht davon aus, dass ein Fusionsreaktor mit einer Leistung von einem Gigawatt – also vergleichbar mit einem konventionellen Kraftwerk – jährlich bis zu 5.000 Kilogramm Gold erzeugen könnte. Der aktuelle Marktwert dieser Menge liegt bei über 200 Millionen Euro.
Damit wäre der finanzielle Ertrag durch die Goldgewinnung ebenbürtig mit der Energieeinspeisung, was völlig neue Perspektiven für die Wirtschaftlichkeit von Fusionskraftwerken eröffnet. Das Konzept würde laut Marathon Fusion die Realisierbarkeit solcher Anlagen beschleunigen – vorausgesetzt, der Goldpreis bleibt stabil.
Die wissenschaftliche Einschätzung: Hoffnung oder Hype?
Kritische Stimmen lassen dennoch nicht lange auf sich warten. Zwar zeigten sich viele Fachleute vom Papier begeistert, doch es fehlt bislang eine Peer-Review – also eine wissenschaftliche Überprüfung durch externe Experten.
Die renommierte Financial Times zitierte Ahmed Diallo, leitender Wissenschaftler am Princeton Plasma Physics Laboratory, mit den Worten: „Auf dem Papier sieht es großartig aus und alle, mit denen ich bisher darüber geredet habe, sind fasziniert und begeistert.“ Doch auch er betont, dass es sich bislang nur um eine theoretische Idee handelt – die praktische Umsetzung steht noch aus.
Zudem muss bedacht werden, dass bei der Kernumwandlung nicht nur Gold entsteht. Auch andere, teils instabile und radioaktive Isotope werden gebildet. Daher schlägt Marathon Fusion vor, das gewonnene Gold zunächst 20 Jahre lang zu lagern, bis mögliche Radioaktivität abgeklungen ist.
Transmutation: Eine alte Idee neu gedacht
Der Prozess der Transmutation – also die Umwandlung eines chemischen Elements in ein anderes – ist keineswegs neu. Schon seit Jahrzehnten wird etwa in Teilchenbeschleunigern und Kernreaktoren versucht, Elemente künstlich herzustellen. Der große Unterschied liegt nun in der Skalierung: Erstmals könnte dies industriell und wirtschaftlich sinnvoll erfolgen.
Das Konzept erinnert an die berühmten Experimente der Kernphysik im 20. Jahrhundert, wo in Laboren winzige Mengen Gold hergestellt wurden – jedoch mit einem Aufwand, der in keinem Verhältnis zum Ergebnis stand. Heute, mit der Entwicklung leistungsstarker Fusionsreaktoren wie ITER oder nationalen Initiativen in den USA, wird diese Technologie immer greifbarer.
Risiken und ethische Fragen
Neben der Euphorie über den möglichen „Goldrausch“ gibt es auch kritische Stimmen aus der Wissenschaftsethik und Umweltbewegung. Die kontrollierte Lagerung radioaktiver Materialien ist aufwendig, teuer und nicht risikofrei. Außerdem stellt sich die Frage, wie sich ein Überangebot an Gold langfristig auf Märkte und Ressourcenverteilung auswirkt.
Auch wäre zu klären, ob Unternehmen das gewonnene Gold steuerfrei oder reguliert verkaufen dürften. Ein Szenario, in dem Großkonzerne durch Fusionsgold neue Marktmonopole bilden, ist nicht unrealistisch – und könnte, ähnlich wie bei der Kryptowährungsschöpfung, wirtschaftspolitische Folgen haben.
Fazit: Gold aus Blei – Science-Fiction wird greifbar
Ob wir es mit einem echten Durchbruch oder einem cleveren PR-Schachzug zu tun haben, wird sich erst zeigen, wenn die Technologie praktisch erprobt wurde. Was jedoch bleibt, ist die Faszination für die Möglichkeiten der Kernfusion – nicht nur als Energielieferant, sondern auch als neue Quelle für begehrte Rohstoffe.
Die Idee, Gold in großem Maßstab künstlich herzustellen, war lange ein unerfüllbarer Traum. Jetzt scheint sie zumindest theoretisch in greifbare Nähe zu rücken. Wenn Marathon Fusion und andere Pioniere dieses Ziel erreichen, könnte sich unser Verständnis von Wert, Energie und Materie grundlegend verändern.
